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Grenzschließung in Polen: „Wir brauchen jetzt schnelle, pragmatische Lösungen statt Komplettabschottung“

Mehrere EU-Mitgliedsstaaten kontrollieren in Zusammenhang mit der Corona-Krise ihre Außengrenzen. Polen hat eine 14-tägige Quarantänezeit für Staatsbürger und Staatsbürgerinnen eingeführt, die in das Land zurückkehren. Dies hat auch Auswirkungen auf Mecklenburg-Vorpommern, wo polnische Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen unter anderem im Gesundheitsbereich und der Landwirtschaft tätig sind. Zur Situation erklärt Dr. Hannah Neumann, Abgeordnete der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Europäischen Parlament:

“Wir sind dringend aufeinander angewiesen, Deutschland und Polen. Das zeigt die Grenzschließung deutlich. Die Landwirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern leidet darunter und auch viele Einrichtungen der Alten- und Krankenpflege. Die Quarantänezeit macht es für polnische Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen schwierig bis unmöglich, ihre Arbeit in Deutschland fortzusetzen. Sie müssen sich entscheiden: Sie können entweder in Deutschland bleiben, ohne zu wissen, wann sie Familie oder Freunde wiedersehen können, oder nach Polen zurückkehren und auf ihr Einkommen verzichten. Dieser Zwang entspricht nicht den Vorgaben der EU-Kommission.

Gestern hat die EU-Kommission Leitlinien veröffentlicht, wie die Freizügigkeit auch während der Corona-Krise zu gewährleisten ist. Demzufolge sollten Personen, die in systemrelevanten Bereichen beschäftigt sind, weiterhin möglichst reibungslos zwischen zwei Mitgliedsstaaten pendeln dürfen. Als systemrelevant gelten dabei zum Beispiel der Gesundheitsbereich, aber auch – zur Erntezeit – die Landwirtschaft. Gesundheitskontrollen können demnach durchgeführt werden, solange die Mitgliedstaaten diese untereinander koordinieren und sie verhältnismäßig bleiben.

Ich begrüße die Leitlinien der Kommission – und fordere die polnische Regierung auf, sie jetzt schnell umsetzen. Die vielen Berufspendlerinnen und -pendler, die täglich von Polen zur Arbeit nach Mecklenburg-Vorpommern kommen, brauchen eine praktikable Lösung und Planungssicherheit. Krankenhäuser, Pflegeheime, Unternehmen und die Landwirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern sind auf Fach- und Saisonarbeitskräfte aus Polen angewiesen. Gerade in derart herausfordernden Zeiten sollten wir uns mit gegenseitiger Solidarität stützen und nicht durch Grenzschließungen alles noch komplizierter machen.

Zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Polen besteht ein reger Austausch; für die Menschen in den Grenzregionen ist Europa Alltag. Viele Freundschaften und familiäre Bande haben sich über die Zeit entwickelt. Die aktuelle Situation ist eine schwere Belastungsprobe. Deshalb brauchen wir jetzt schnelle, pragmatische Lösungen statt Komplettabschottung. Maßnahmen wie geschlossene Grenzen sollten befristet sein.

Gerade in den vielen grenzübergreifenden Projekten, Begegnungen und Initiativen zeigt sich der Geist Europas. Die Europäische Union und die Mitgliedsstaaten müssen daher dafür sorgen, dass nach Ende der Coronakrise Europa in den Grenzregionen wieder zusammenwachsen kann und die Menschen nahtlos zu ihrem europäischen Alltag übergehen können.“

Weitere Informationen

Aus Polen pendeln regelmäßig ca. 3400 Personen regelmäßig nach Mecklenburg-Vorpommern zur Arbeit. Sie sind in verschiedenen Bereichen tätig, unter anderem im Gesundheitswesen und in der Landwirtschaft, aber auch im Tourismus. Laut Fachleuten fehlen demnächst wegen der Corona-Krise Tausende Saisonkräfte in dem Bundesland.

Nach EU-Recht ist die Einführung temporärer Grenzkontrollen in bestimmten Ausnahmesituationen möglich, z.B. wenn es um die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung geht und die Mitgliedsstaaten dies der Kommission mitteilen. Das EU-Recht erlaubt Grenzkontrollen, lässt es aber im Normalfall nicht zu, dass EU-Bürgerinnen und -Bürgern die Einreise verwehrt wird. Dies ist nur in individuellen, gut begründeten Situationen der Fall. Die aktuelle Situation an vielen Binnengrenzen in der EU ist also nicht europarechtskonform. Aufgrund der Sondersituation der Corona-Krise hat die Kommission entschieden, keine rechtlichen Schritte gegen die Mitgliedsstaaten zu unternehmen. Sie hat aber Vorschriften erlassen, wie mit dem de-facto-Aussetzen der Bewegungsfreiheit in der EU umzugehen ist und den Schaden so gering wie möglich zu halten. Deutlich fordert die Kommission darin die Mitgliedsstaaten auf, zumindest eine Lösung für die Grenzpendlerinnen und -pendler zu finden.

Kontakt für Rückfragen bzw. Interviewanfragen an Dr. Hannah Neumann:

Angelika Hild
Parlamentarische Assistentin
Telefonnummer: (+49) 176 618 464 49

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