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Hannahs Monthly: Ursula von der Leyen – Mein Nein und die Gründe dafür

Diese Woche stand ganz klar im Zeichen der Vorstellung von Ursula von der Leyen im Europäischen Parlament. Am Dienstag und Mittwoch war sie bei fast allen Fraktionen zu Besuch, auch bei uns, in der Grünen Fraktion. Ich habe im Vorfeld ihrer Vorstellung für Offenheit geworben – lasst sie uns einladen, ihr ernsthaft zuhören und dann abwägen. Aber nach ihrem Besuch bin ich mir sicher, dass ich ihr meine Stimme, zumindest unter den aktuellen Gegebenheiten, in der nächsten Woche nicht geben kann. Sowohl die Art und Weise ihrer Nominierung für die Kommissionspräsidentschaft als auch die Vorstellung ihres Programms sind problematisch. Ihre vorgelegte Agenda war sehr vage und ihre konkreten Antworten auf für uns wichtige Fragen blieb sie uns weitestgehend schuldig. Das war für mich kein einfaches Nein. Als Parlamentarierin sehe ich mich in der Pflicht, es zu begründen, weil mir bewusst ist, dass eine Ablehnung von Frau von der Leyen durch das Parlament gewichtige Folgen hätte.

Die Agenda

Frau von der Leyen hat bei ihrem Besuch keine europapolitische Vision vorgestellt. Sie hat nicht um unsere Stimmen oder für ein eigenes Programm geworben.

Zum Thema Klimaschutz: Man sollte einen wissenschaftlichen Expert*innenenrat gründen, der EU-Politiken bewertet. Sie bekennt sich zu den Pariser Klimazielen und denkt laut über eine Ausweitung des Emissionshandels nach. Das tun Viele schon lange. Dieses Wissen ist genug vorhanden. Das Problem ist die konkrete Aktion. Da kam nichts.

Zum Thema Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit: Keine klare Position zu Fidesz, wolkige Worte zu Migration, kein Bekenntnis zu Seenotrettung.

Außerdem keine pro-europäisch demokratischen Initiativen: Kein ehrliches Bekenntnis zu einem Initiativrecht des Parlaments, vage Worte zu einem belastbaren Spitzenkandidat*innenprozess in der Zukunft.

Und kein weiteres konkretes Verhandlungsangebot an uns Grüne. Keine Posten, keine politischen Zugeständnisse, keine verbindlichen Versprechen. Das ist wenig, viel zu wenig. Anderen Fraktionen scheint es ähnlich zu gehen. Es wird wacklig nächste Woche.

Das Verfahren

Das maue Auftreten gestern liegt sicher auch am Verfahren. Hier einige Aspekte.

Faktor Zeit: Frau von der Leyen wurde letzten Montag vom Rat vorgeschlagen. Sie hatte also nur etwas mehr als eine Woche Zeit, sich in die Breite dereuropäischen Themen einzuarbeiten, Positionen der Parteien und Mitgliedsstaaten kennenzulernen, eigene Visionen zu entwickeln und mögliche Kompromisslinien auszuloten. Unmöglich? Ich finde: Ja! 

Faktor Bekanntheit: Auch wenn wir in Deutschland Frau von der Leyen gut kennen, ist sie der breiten europäischen Öffentlichkeit unbekannt. Manch einer kennt sie als deutsche Verteidigungsministerin, aber ihre europapolitischen Positionen? Da musste man ja selbst in Deutschland nochmal nachrecherchieren. Man stelle sich beispielsweise vor, Herbert Reul (beispielhafte und beliebige Auswahl; Innenminister des größten deutschen Bundesland Deutschlands) wäre ganz plötzlich zum Kanzlerkandidaten ausgerufen und die Wahl fände in einer Woche statt. Da wüssten die Parlamentarier*innen im Bundestag doch auch erstmal gerne, wofür er steht, bevor sie dem Deal zustimmen. Zumindest würde ich das hoffen. Deswegen hatten wir im Europawahlkampf Spitzenkandidat*innen. Europäische Parteienfamilien hatten eine oder mehreren Spitzenkandidat*innen gewählt, die dann quer durch Europa ihre Vorstellungen und Ziele für Europa bekannt gemacht haben. Alle interessierten Menschen, und damit auch die Parlamentarier*innen, konnten sie kennenlernen. Auch wenn die Spitzenkandidat*innen nicht in der Breite bekannt waren (anderes Thema), so hatten und haben wir im Parlament doch eine ganz gute Vorstellung davon, wer sie sind und wofür sie stehen (und wofür nicht). 

Faktor neue Situation: Es ist zum ersten Mal auf europäischer Ebene so, dass nicht die zwei großen Parteifamilien (S&D und EPP) die Mehrheit im Parlament und im Rat haben, sondern auf breitere Koalitionsbildungen angewiesen sind. Die dafür notwendigen Verhandlungen im Europäischen Parlament und auch im Europäischen Rat sind komplex und es gibt keine erprobten Prozesse die dem klassischen Modell deutscher Koalitionsverhandlungen folgen könnten. Das wirkt von außen sehr kompliziert, manchmal unkoordiniert und verwirrend. Und das ist es auch, wenn man drinsitzt. Wir haben seitens des Europäischen Parlaments versucht einen Weg zu finden und konstruktiv verhandelt. Diese Verhandlungen waren jedoch noch nicht abgeschlossen, als der Vorschlag des Europäischen Rates zu dem Personenquartett aus Parlamentspräsident, Kommissionspräsidentin, EZB-Präsidentin und Außenbeauftragtem kam. Leider hat Frau von der Leyen die Verhandlungen nicht weitergeführt. 

Mein Nein.

Die Europäische Demokratie ist komplex. Das zu ändern ist noch mal ein eigenes Thema. Jetzt geht es darum, unter den gegebenen Umständen die beste Lösung zu finden. Und dafür brauchen wir Zeit. Das Parlament braucht Zeit, um die Verhandlungen zwischen den Parteien fortzusetzen. Frau von der Leyen bräuchte Zeit, um ihre Vision für eine mögliche Kommissionspräsidentschaft zu entwickeln. Wir Europaparlamentarier*innen bräuchten Zeit um uns gemeinsam mit Frau von der Leyen auf eine gemeinsame Politik für die nächsten Jahre zu verständigen – oder eben zu dem Ergebnis zu kommen, dass das nicht zusammenpasst. Diese Gespräche müssten wir in den Fraktionen führen und zwischen den Fraktionen untereinander. Und diese Zeit hatten wir nicht. Man darf nicht vergessen, das Parlament wurde erst am 2. Juli konstituiert, 60 Prozent der Abgeordneten sind neu gewählt.

Mir als Grüne ist klar, dass kein*e Kommissionspräsident*in nur Grüne Positionen umsetzen wird. Ich sehe auch die Gefahr, dass nach Frau von der Leyen keine bessere Alternative kommt. Das macht eine Ablehnung schwer. Zugleich ist mir vollkommen unklar, wofür Frau von der Leyen europapolitisch steht. Es gibt keine Agenda, an der ich mich orientieren kann. Wo ich Dinge gut oder schlecht finden kann. Dinge, die ich in dem politischen Kontext in Verbindung setzen kann und dann am Ende einen Strich drunter mache und für mich entscheide, ob ich zustimme oder ablehne. Mehr noch, je nachdem in welcher Fraktion Frau von der Leyen war, hat sie unterschiedliche Vorhaben angekündigt. 

Das Verfahren war schlecht. Bei ihrem Auftritt blieb von Frau von der Leyen leider vage. Ich hätte mir gewünscht, sie hätte sofort nach ihrer Benennung um eine Vertagung der Wahl bis September gebeten, um Zeit zu gewinnen. Für sich und für uns. Das hat sie nicht getan. Das Präsidium hat entschieden. Wir werden nächste Woche abstimmen. Ich werde auf der Grundlage des bisher vorgelegten Nicht-Programms Frau von der Leyen meine Stimme nicht geben. 

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